Schulentwicklung ist auch Schülersache
„Lassen Sie doch einfach Ihre Schüler die Arbeit machen und beziehen Sie diese aktiv in Ihre Schulentwicklung ein. Sie haben oft frische und unverbrauchte Ideen.“ Mit diesem Impuls wurde unser Vortrag auf dem Schulleitungskongress angekündigt, Schulentwicklung stand als Top-Thema auf der Agenda.
Im November 2021 scheint das Thema Partizipation in Schulen wichtiger denn je. Die Pandemie hat Klassenverbände auseinander driften oder gar nicht erst entstehen lassen. Praxisprojekte können Identifikation durch Teilhabe bieten, aber wie anfangen? Unser Vortrag soll ermutigen und inspirieren – vor allem auch zum Austausch mit uns. Die Referentin steht für Fragen und Vernetzung gerne zur Verfügung. Kontaktdaten siehe am Ende des Beitrags.
Liebe Gäste – vielen Dank fürs Kommen. Mein Name ist Dörte Gebert. Ich bin Vorstand von Das macht Schule, 2006 gegründet von dem Social Entrepreneur und Ashoka Fellow Bernd Gebert. Mein Thema ist „Partizipation in Praxisprojekten an Schulen als Mittel zur Schulentwicklung“. Das wirft Fragen auf. Davon werde ich 19 jetzt beantworten. Ich versuch’s damit mal im TED-Format von maximal 30 Minuten. Das lässt Raum, um danach über Ihre weiteren Fragen zu sprechen. Zur Einstimmung hier erst mal ein kurzes Video (Ausschnitt aus: „Lernen im 21. Jahrhundert“ von Patrick Newell):
Schulen bereiten nicht ausreichend auf das Leben nach der Schule vor. Jeder, der sich am Leben einer Gemeinschaft beteiligen soll, muss von klein auf Gelegenheit bekommen, dies zu lernen.
Was heißt das eigentlich?
Wir brauchen an Schulen solche Gelegenheiten, sich zu beteiligen. Das ist dann Partizipation: Das Einbeziehen von Kindern und Jugendlichen bei allen Ereignissen und Entscheidungsprozessen, die das Zusammenleben betreffen. Wir müssen Kindern und Jugendlichen in der Schule die Zeit und den Raum geben, Haltung und Orientierung zu entwickeln. Wer Partizipation erlebt, kann bemerken, wie er oder sie durch Handeln die Gesellschaft mitgestaltet.
Warum ist das wichtig?
Jeder soll die Schule mit Kompetenzen verlassen, die nicht nur ein erfolgreiches Leben, sondern auch eine aktive Beteiligung an der Weiterentwicklung der Gesellschaft ermöglichen. Denn die Verantwortung liegt immer bei uns. Sie abzugeben ist keine Option für die Demokratie.
Lehrer und Eltern sehen das als Bildungsziel von Schulen: Es gibt eine 2018 durch forsa im Auftrag des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) durchgeführte Studie, in der 96 % der befragten Eltern und 98 % der Lehrer sagen, dass die Schülerinnen und Schüler vor allem lernen sollten, eigenverantwortlich zu handeln. Die Schule solle soziale Kompetenzen vermittelt, sagen 93 % der Eltern und 98 % der Lehrer und die Persönlichkeitsentwicklung unterstützen (92 bzw. 95 %). 91 % bzw. 92 % erwarten, dass Schule auf das zukünftige Leben vorbereitet.
Bieten Schulen Raum dafür?
Nein. Leistungsdruck und der Fokus auf Noten rauben an den meisten Schulen den Raum für Partizipation, Demokratielernen und Erfahrungslernen. Das, was bisher geschieht, reicht nicht aus. Darüber waren sich Eltern und Lehrer laut der VBE-Studie einig. Und jetzt, während Corona, ist ein Rückzug auf den Lernstoff und das Streichen von solchen Freiräumen schon ganz und gar nicht mehr angesagt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte dazu im Mai 2021 auf dem ökumenischen Kirchentag: „Die sozialen Folgen des Virus werden nicht einfach so verschwinden“.
Warum ist das so?
Das Schulsystem ist hierarchisch. Es ist so aufgebaut, dass es aussondert, und nicht für Potentiale öffnet. Dementsprechend beklagt sicher nicht nur der VBE die oft zu starren und festgefahrenen Unterrichts- und Schulstrukturen und fordert mehr Freiräume und flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten. Wie Digitalisierung von Schule geht, haben wir ja teilweise in Corona-Zeiten gelernt. Aber wie Teilhabe geht, haben wir in diesen Zeiten fast ganz verlernt.
Wie kommen wir denn zu einer besseren Situation?
Das ist ein Querschnittsthema für Schule, Schulverwaltung und Politik. Schulen müssen ihre wichtige Rolle für die Entwicklung der Gesellschaft leben und umsetzen.
Der VBE (Verband Bildung und Erziehung, Deutschland) empfiehlt mehr Projekte in der Schule anzubieten, in denen Werte vermittelt werden. (→ Blogbeitrag)
Was hat das mit Das macht Schule zu tun?
Wir empfehlen Partizipation in Praxisprojekten für Erfahrungslernen – als Grundlage für Demokratieerziehung.
Wie funktioniert das?
Praxisprojekte ermöglichen Erfahrungslernen und fördern Eigeninitiative, Verantwortung und Gemeinsinn – die Grundpfeiler jeder Demokratie. In Praxisprojekten übernehmen Schüler Verantwortung, lernen eigenverantwortlich zu handeln, erleben Werte und üben demokratische Verhaltensweisen ein. Partizipation in Praxisprojekten kann als Methode für Demokratielernen und Schulentwicklung eingesetzt werden. Am besten, wenn das mit Themen der alltäglichen Lebens- und Lernraumgestaltung verbunden wird. Und das hilft im übrigen auch, die Folgen von Corona zu mindern, die die forsa-Umfrage des deutschen Schulbarometers gerade benennt: Unruhe, Schulschwänzen, Aggression und fehlende Motivation.
Was muss dafür geschehen?
Es geht um Selbstwirksamkeitserfahrungen. Dafür müssen Lehrkräfte ihren Schülern etwas zutrauen. – Dafür müssen sie sich selbst etwas zutrauen. Und Schulleitungen müssen ihren Lehrkräften etwas zutrauen, Schulverwaltungen ihren Schulleitern und die Politik den Schulverwaltungen. Im gesamten Schulsystem müssen wir weg kommen vom Jammern. Was wir brauchen, ist mehr Zuversicht. Forderungen bringen uns nicht weiter. Wir müssen etwas TUN, wenn wir etwas ändern wollen. „Taten statt Warten“. Sonst ist das, was Hüther, Precht und andere fordern, Makulatur.
Geht das einfach?
Ja und nein. Wir wollen Schülern die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ermöglichen. Wer Selbstwirksamkeit lehren will, muss sie selbst haben. Das heißt, Lehrkräfte müssen Vorbilder werden. Dafür müssen wir die Komfort-Zone verlassen. Es kann sein, dass Schüler solche Angebote nicht gleich annehmen. Und Lehrer auch nicht. Das heißt: Vorleben – Versagen einkalkulieren und weitermachen, bis es gelingt. Eine Regel des Design Thinking, die sich hierher gut übertragen lässt, sagt: „Scheitere früh und oft“. So lassen sich Probleme lösen! Das braucht die Haltung eines Optimisten, also „verliebt sein ins Gelingen“, wie der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Jens Weidner sagt.
Zurück zu Praxisprojekten. Praxisprojekte sind keine einheitlich verstandene Methode.
Was ist eigentlich ein Praxisprojekt?
Wir definieren sie so: Praxisprojekte haben Bezug zur Lebenswelt, ermöglichen „hands on“ selbst praktisch zu handeln, etwas zu schaffen, zu gestalten oder zu erarbeiten, das einen bleibenden Nutzen hat, wie z.B. ein neu gestaltetes Klassenzimmer, reparierte Dinge oder gepflanzte Bäume. Das verbindet sich mit dem Training wichtiger Kompetenzen, Werte- Erziehung und praktischem Demokratielernen.
Und welche Rolle spielt Das macht Schule dabei?
Wir helfen Lehrern Praxisprojekte umzusetzen und Schüler damit stark für die Zukunft zu machen, niedrigschwellig und skalierbar. Jeder Lehrer bekommt bewährte Projekt-Vorlagen, einen Ansprechpartner und eine eigene Projektseite, mit der sein Projekt Vorbild wird und „Schule machen“ kann. Alles kostenlos.
Gemeinsam entscheiden, wie es aussehen soll – im Team zusammenarbeiten – sich lange gemeinsam am Ergebnis freuen – eine aktuelle Studie, die 2019 im Auftrag vom KiKA, dem Kinderkanal von ARD und ZDF, durch das Marktforschungsinstitut „iconkids & youth“ durchgeführt wurde, bestätigt, dass Kinder sich an der Schule wohlfühlen wollen und einbringen möchten. 90 % wünschen sich Mitspracherecht bei der Gestaltung des Klassenraums.
Wir vermitteln auch gebrauchte Hardware aus Unternehmen an Schulen. Gemeinsam Wünsche realisieren – Kompetenzen einbringen und an Lehrer weitergeben – Verantwortung für Administration übernehmen. → Projektvorlage
Sich auf Werte einigen – gemeinsam so organisieren, dass es für alle passt (Kunden, Schüler, Lehrer) – Vorbild werden. → Projektvorlage
Gemeinsam Ziele finden und sich darauf einigen – in Teams Verantwortung übernehmen- → Projektvorlage
Bei #Plastikfastenmachtschule mitmachen – Gemeinsam herausfinden, was die besten Quick Wins für den CO2-Footprint der Schule wären, oder eine Klima AG starten.
Was ist die Grundlage, auf der ich so darüber sprechen?
In 14 Jahren konnten über 660.000 Schüler profitieren. Diese Methode funktioniert!
Und was machen wir jetzt, wie geht das weiter?
Mit bisher über 660.000 erreichten Schülern und mehr als 3.800 Projekten haben wir gemeinsam mit den Akteuren gezeigt, was möglich ist. Jetzt wollen wir das auf eine neue Ebene heben und uns dafür einsetzen, dass Praxisprojekte in Schulen zum Standard werden, und dass dafür die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Das heißt, wir wollen auf dieser Grundlage den nächsten Schritt gehen, um Praxisprojekte nachhaltig strukturell im System Schule zu verankern.
Allein? – Nein, natürlich nicht, sondern gemeinsam!
Wenn wir am System Schule etwas ändern wollen: Wer sind die Akteure?
Beteiligt sind natürlich Lehrkräfte, Schulleitungen und Schulbehörden und wahrscheinlich auch Kultusministerien, Pädagogische Hochschulen, Lehrerseminare, Pädagogenverbände, Stiftungen und andere Sozialunternehmen wie wir.
Was wollen wir erreichen?
Im Kern wollen wir mehr Teilhabe in Praxisprojekten auch in der Lehrerausbildung, in Schulverwaltungen und Verbänden verankern.
Gibt es dazu bereits Ansätze?
Ashoka, das größte globale Netzwerk für Sozialunternehmer hat gerade die systemische Wirkung ausgewählter Ashoka Fellows betrachtet. („Sozialunternehmer“ wie Bernd Gebert, Gründer von Das macht Schule, sind Menschen, die mit unternehmerischem Geist an der Überwindung gesellschaftlicher Probleme arbeiten.) Als gesellschaftliches Problem benannte die FAZ in einem Artikel: „Jeder fünfte 15-jährige in Deutschland ist mit dem Lösen alltäglicher Probleme überfordert.“ Ashoka fragt: Was wäre, wenn alle jungen Menschen in der Schule lernen, die Welt zu gestalten? – Dann leben wir in einer Welt, in der „fürs Leben lernen“ keine Floskel mehr wäre. Eine Welt, in der Kinder und Jugendliche lernen, Eigeninitiative und Verantwortung zu übernehmen und Gemeinsinn zu üben.
Was sind die Kernaussagen von Ashoka zur gewünschten Entwicklung des Schulsystems?
Das Problem ist: Das Schulsystem bereitet nicht angemessen auf das Leben vor.
Das Ziel ist: Praxisprojekte sind als Format im Schulsystem etabliert.
Innovation ist: Persönlichkeits- und Schulentwicklung durch Praxisprojekte (am Beispiel von Das macht Schule)
Mit welchen Schritten kann das Ziel erreicht werden?
- Politische Rahmenbedingungen.
Die Kultusministerkonferenz fordert, Teilhabe, Mitgestaltung und praktisches Demokratielernen zu fördern. Die Forderung ist in die Schulgesetze der Länder übernommen. Die Lehrpläne sind so formuliert, dass Praxisprojekte möglich sind.
Spannender Fall, dass die politischen Rahmenbedingungen schon passen!! - Neue Kompetenzen für Lehrkräfte.
Es sollte Teil der Lehrkräfte-Ausbildung sein, ein Praxisprojekt in der Schule durchzuführen.
Erste Einzelfälle gib es schon. - Ressourcen stehen zur Verfügung.
Die frei verfügbaren Materialien auf das-macht-schule.net und die Beratung von Das macht Schule erleichtern Lehrkräften, Praxisprojekte umzusetzen. - Die Schulaufsicht unterstützt dabei und stellt sicher, dass Praxisprojekte umgesetzt werden.
Das erfolgt noch nicht.
Diese Ashoka-Ansätze auf einen Blick gibt es als PDF hier zum Download
Ich lade Sie alle ein zum Dialog und zur Teilhabe!
Wir freuen uns über Partner
- aus der Wissenschaft,
- interessierte Stiftungen, mit denen wir Allianzen bilden können
- Schulen, die Interesse haben, etwas auszuprobieren.
Auf welche Fragen bringt Sie das? Welche anderen Antworten als ich haben Sie?
Dörte Gebert
Vorstand Das macht Schule
Ich freue mich auf Feedback und einen gemeinsamen Dialog. Die Telefonnummer steht hier oben auf der Website, meine E-Mail ist dgebert@das-macht-schule.net