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Teilhabe bei Corona: Schüler testen sich selbst

Maria Kammerer und Dörte Keck nehmen die Tests der Schülerinnen und Schüler entgegen
Maria Kammerer und Dörte Keck nehmen die Tests der Schülerinnen und Schüler entgegen. Foto: Don-Bosco-Schule Rostock

Zwei Schulen in Rostock und Neustrelitz lassen bereits seit Mitte vergangenen Jahres ihre Schüler sich selber testen. Die Tests schärfen das Bewusstsein und ermöglichen echte Teilhabe. Das heißt sich selbst als Teil der Lösung zu begreifen! Ein klares Signal für Schülerinnen und Schüler: Ihr übernehmt hiermit Verantwortung – für euch und andere. Ein gutes Learning. Schulen sind der vielleicht wichtigste Ort für die Weiterentwicklung einer Gesellschaft. Deshalb sind die Learnings von Schulen, die etwas gut hingekriegt haben, so bedeutsam. Wir haben Gert Mengel, Schulleiter in Rostock, gefragt, wie er das an seiner Schule hingekriegt hat. Hier kommen die Antworten.

„Es würde mich freuen, wenn wir ein bisschen schneller lernen könnten“ sagt Gert Mengel, Schulleiter der Don-Bosco-Schule in Rostock, und meint damit nicht seine Schüler, sondern wie unsere Gesellschaft mit dem Thema umgeht. Seit Juli 2020 wird getestet. Über 7000 Tests wurden von Schülerinnen und Schülern der freien katholischen Schule in Rostock durchgeführt. Das Ergebnis: Testen ist machbar. Nur acht Tests waren nicht auswertbar. Nur vier zeigten eine Infektion an. Ein Modell also, das Schule machen kann.

Wir könnten die Schulen wieder sicher öffnen.

Mengel ist überzeugt: „Wir könnten die Schulen wieder sicher öffnen. Sport, Musik und regelmäßige Gottesdienste wären wieder möglich. Und wir könnten endlich Schluss machen mit dem alle überfordernden Wechselunterricht.“ Denn obwohl die Schüler der Schule gutes Feedback für das digitale Lernen geben, sagen sie trotzdem, dass sie sich einsam fühlen zu Hause vor dem Bildschirm.

Laut Tagesspiegel warnt der Verband der Jugendärzte vor „negativen psychologischen Auswirkungen der Tests“. Mengel weist dies anhand seiner erlebten Praxis zurück. Er sagt, dass die Corona-Tests im Gegenteil das Bewusstsein der Schüler stärken und sie für Regeln sensibilisieren. Sie erleben, selbst so etwas Diffuses und nicht Greifbares wie eine Pandemie wird auf einmal beherrschbar. Das ist der Weg von der Ohnmacht in die Eigenmacht und eine wertvolle Selbstwirksamkeitserfahrung.

Wer die kompliziertesten chemischen Experimente machen kann, schafft auch einen simplen Rachenabstrich.

„Trauen wir unseren Kindern doch etwas zu“, sagt Mengel. Er testete in Zusammenarbeit mit dem Bio-Tech Unternehmen „Cetogene“ deren PCR-Test. Die Schüler nehmen den Test nach Hause, nehmen einen Rachenabstrich und geben diesen ab. 12 Stunden nach dem Abstrich werden sie über eine App über das Ergebnis informiert. Wenn also jemand tatsächlich infiziert ist, weiß er schnell Bescheid, sodass gezielt die Schüler in seiner Umgebung isoliert werden können und nicht gleich die ganze Schule.

Das Gymnasium Carolinum in Neustrelitz hat es mit seiner Erfolgsgeschichte bereits bis in die New York Times geschafft. Danach kamen Anfragen aus der ganzen Welt. Die Hoffnung ist, dass dieses gute Beispiel möglichst schnell auch bei den Verantwortlichen in Deutschland Gehör findet und eine schnelle Umsetzung. Um auch die Schnelltests sicher und solide zu machen stehen bereits Lösungen in den Startlöchern, die dies per App einfach und sicher ermöglichen. Die Perspektive: wirklich schnell zurück in mehr (sichere) Normalität.

In weiten Teilen der Gesellschaft bröckelt das Vertrauen

Vielleicht ist Schule der wichtigste Ort einer Gesellschaft überhaupt. Auf jeden Fall aber der vielleicht wichtigste Dreh- und Angelpunkt einer Gesellschaft, wenn es darum geht die Folgen einer Pandemie klein zu halten. Besonders Familien mit Kindern – und deren Arbeitgeber – leiden unter dem General-Lockdown. Und bereits jetzt melden Experten, dass jedes vierte Kind abgehängt wird.

Für viele Menschen sind auf Logik aufbauende und damit klar nachvollziehbare Entscheidungen der Politik einfach nicht mehr erkennbar. Was fehlt sind Ursache-Wirkung-Beziehungen. Und dass, obwohl inzwischen eine genügend große Datenbasis vorhanden sein müsste, die klare Zuordnungen ermöglichen sollte. Zum Beispiel eine Hitliste der Orte, wo die meisten Ansteckungen stattfinden. Bei Friseuren, in Schulen, im Wohnzimmer, in Krankenhäusern oder wo? Gleichzeitig wird über Maskenpflicht und Selbsttests in Betrieben diskutiert. Und Maskenpflicht trotz Selbsttest. Sicher ist sicher. Das scheint absurd. Wenn uns eine Maske schützt, warum dann den Selbsttest? Wenn ein Selbsttest „negativ“ zeigt, warum dann die Maske? Weil eine Wahrscheinlichkeit für eine Falsch-Testung vorliegt? Wenn das so ist, sollten wir uns im Auto lieber mit zwei Sicherheitsgurten anschnallen statt mit einem – odr am besten gar nicht erst ins Auto steigen. Wir brauchen den Weg zurück in die Normalität, zur lokalen Eigenverantwortung und zumindest dort, wo alle getestet sind, auch ohne Maske. Lass uns einen Versuch wagen und schauen, was rauskommt. Ohne diesen Mut werden wir nie wissen, wie es wirklich ist. Die Wissenschaft verschanzt sich hinter Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Theorie. Was wir brauchen ist eine Überprüfung der Wirklichkeit.

Dazu kommt, Mikromimik ist ein wichtiger Teil unserer Kommunikation. Die Maske sieht man nicht, wie jemand reagiert. Dabei ist das für Kinder und ihre Entwicklung besonders wichtig. Was sagen die Jugendpsychologen dazu? Unser Kampf gegen das Virus ist wie der Kampf von Don Quijote der das Buzzword „Lockdown“ als Lanze nutzt. Inzwischen wird die Lösung zum Problem. Dabei zeigen mutige Akteure weltweit (nicht nur in Rostock) wie man wirkungsvoll vorgehen kann. Die guten Lösungen entstehen dort wo mutige Akteure lokal Verantwortung übernehmen und lokal passende Lösungen etablieren. Das ist also das Gegenteil eines General-Lockdowns für alle. Und wo könnte man so ein Vorgehen gesellschaftlich nachhaltiger ansiedeln, als in Schulen um die Learnings von dort in andere Bereiche der Gesellschaft zu übertragen.

Freiwilliger kostenloser Corona-Test für alle

Wie lief das nun aber ganz konkret in Rostock ab? Die Schüler bekommen ein Testkit mit nach Hause und machen – nach Anleitung – selbst einen Rachenabstrich. Jede Probe bekommt einen Code und ist damit eindeutig einer Person zugeordnet. Die Proben werden in der Schule entgegengenommen. Hier lief es dann so, dass das Rostocker Labor Unternehmen „Cetogene“ die Auswertung übernommen hat. Das Ergebnis erreichte die Getesteten per App (selbstredend unter Einhaltung der geltenden Datenschutz-Richtlinien). Nur ein entdeckter Corona-Fall musste dem Gesundheitsamt gemeldet werden. Dieses Vorgehen ermöglicht, dass man nicht die gesamte Schule unter Generalsverdacht stellen und deshalb quasi schließen muss. Ein analoges Vorgehen ist auch mit anderen Selbsttests (Spuck- oder Popeltests) möglich. Nur mit dem Vorteil, dass man hierfür kein Laborunternehmen zwischen schalten muss. Inzwischen sind diese Tests ja preiswert verfügbar und es gibt sogar Anbieter, die in den Startlöchern stehen, die ordnungsgemäße Durchführung dieser Tests per App zu verifizieren.

Mengel war gleich klar, dass man dafür mit der gesamten Schulgemeinschaft ins Gespräch kommen muss. Als erstes war die Frage zu klären: Soll es den Test einer Schule geben? Das Ergebnis: 70 Prozent der Lehrer waren für den Test, 80 Prozent der Eltern und 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler. Und es war jedem freigestellt, ob er teilnehmen möchte.

Selbsttest war nicht die einzige Maßnahme

Der Selbsttest war nicht die einzige Maßnahme mit der an der Don-Bosco-Schule reagiert wurde. Auch hier zeigt sich die Überlegenheit smarter Entscheidungen vor Ort. In der Schule gibt es eine weitere Regel. Definierte Gruppen, wie zum Beispiel die Klassen fünf und sechs oder acht und neun, die ihre eigenen Eingänge haben, entsprechende Wege im Schulgebäude und einen eigenen Atempause Bereich oder beim Essen. So laufen nie alle durcheinander. Der Vorteil: Tritt ein Corona Fall auf, muss nicht die gesamte Schule in Quarantäne. In den Gängen tragen alle Masken, auf dem Pausenhof nicht. Mengel sagt: „letztendlich geht es um mehr Sicherheit, die dann im nächsten Schritt zu einer erleichterten Schulalltag führt“ und hofft bald weitere Lockerungen einführen zu können. Zum Beispiel in der Nachmittagsbetreuung, beim Sport oder beim Schulchor um endlich wieder gemeinsam singen zu können. Auch als ein wichtiger Balsam für die Seele.

Natürlich musste Mengel auch Kritik einstecken. Das ist der Preis, wenn viele Gruppen der Schule beteiligt sind. Naturgemäß sind sich nicht immer alle einig, wenn es um die Entwicklung von Konzepten geht. Aber dieser gemeinsame (!) Prozess ist notwendig, damit die Lösung auch von allen mitgetragen wird. Mengel sieht die Krise pragmatisch: „Kinder müssen zur Schule gehen, dafür müssen wir Lösungen finden.“ Dafür will er aber nicht nur auf Vorgaben von außen warten. Inzwischen hat er an die 160 Durchführungsbestimmungen des Landes auf dem Tisch. Trotz aller guten Absicht dahinter müssen wir aber begreifen: Auch die alte Schule ist nie krisensicher gewesen. In der Krise helfen nicht nur Masken und Abstände, sondern vor allem braucht es auch Stärkung. So hat es viele Schulgottesdienste, Newsletter und Beratungsgespräche der Schulseelsorgerinnen und der Schulsozialarbeiterin. Digitale Unterrichtsformen werden weiterentwickelt. Digitale Tools sind also nicht nur notdürftiger Schulersatz. 

Schule muss ein Hoffnungsort sein, nicht des Regelns und der Zurechtweisung.

Mengel ist sicher: „Gutes Lernen muss der Anspruch auch unter Corona-Bedingungen sein“ und steht für Fragen zur Verfügung um seine Erfahrungen weiterzugeben (siehe Kaste unten). Und weiter: „Gute Kommunikation ist gerade in der Krise wichtig, deshalb haben wir zum Beispiel einen Podcast entwickelt und eine MeetUp-Reihe zu den ‚Zukunftskompetenzen der Schule‘ aufgelegt. Schule muss ein Hoffnungsort sein, nicht des Regelns und der Zurechtweisung.“

Die Fakten in Kürze

Ziele:

 

  1. Die Schulgemeinschaft soll das höchste, mögliche Maß an Sicherheit erfahren.
  2. Die Schulgemeinschaft soll vor Ansteckung geschützt werden.
  3. Die Ausbreitung von Covid19 soll durch schnelle Identifizierung der Betroffenen verhindert werden.
  4. Die Testverfahren sind Teil des Hygienekonzeptes der Schule.
  5. Die Test sind freiwillig und kostenlos.
  6. Die Einführung des Verfahrens wird in einem demokratischen Konsensverfahren in der Schule eingeführt.
  7. Die Test sollen zu Erkenntnissen im Umgang mit der Pandemie und Erleichterungen im Alltag führen.

Umsetzung:

 

  1. Vorschlag des Schulleiters in der Leitungsrunde.
  2. Informationsmail an die Gruppen der Schulgemeinschaft (Artikel aus der OZ; ARD-Plus/Minus Beitrag mit Claus Ruhe Madsen (Mai 2020); Infomaterial und Vertragsvorschlag von Centogene).
  3. Webbasierte Umfrage in den Gruppen der Schulgemeinschaft.
  4. Diskussion in den Gruppen der Schulgemeinschaft.
  5. Abstimmung in den Teilkonferenzen.
  6. Abstimmung in der Schulkonferenz.
  7. Festlegung einer testverantwortlichen im Bereich der erweiterten Schulleitung.
  8. Onbording des Verfahrens in der Schule (2 x Infoveranstaltungen) und Bildung einer Test-Gruppe (ehrenamtlich) zur Durchführung der Tests.
  9. Durchführung der Tests ab August 2020.
  10. Anfang September 2020 Nachinfoveranstaltung.

Entscheidungen in den Gremien:

 

  1. Elternkonferenz: einstimmig.
  2. Konferenz der Lehrkräfte: mehrheitlich.
  3. Schülersprecher: mehrheitlich.
  4. Schulkonferenz: mehrheitlich.

Gert Mengel bietet Unterstützung an: Wir stehen als Schule für jede Unterstützung zur Verfügung, sehen uns als Teil des öffentlichen Schulwesens und beantworten gern Fragen zu unseren Erfahrungen: podcast@dbs.bernostiftung.schule

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