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Vandalismus besser verstehen

Vandalismus besser verstehen

2,1 Millionen Euro hat allein Hamburg für die Beseitigung von Schäden durch Vandalismus an Schulen im Jahr 2017 ausgeben müssen. 325 der insgesamt 374 Hamburger Schulen waren betroffen (über 85 Prozent). Die Schadensbeträge sind zum Teil fünfstellig. Woanders ist es kaum besser. Auch Randbezirke sind betroffen. Und es hört nicht auf (siehe Pressebericht 2023). Vandalismus tritt nicht nur in den großen Städten auf und ist keinesfalls abhängig vom sozialen Umfeld. Er tritt genauso bei Schulen in „besseren“ Wohnlagen auf. Täter sind oft die 11- bis 14-jährigen. Wer Vandalismus in der Schule schulterzuckend akzeptiert, nimmt in Kauf, dass sich Schüler (und Lehrkräfte) hier nicht mehr geborgen fühlen. Die Duldung von Vandalismus begünstigt Gewalt und Übergriffe auf Lehrkräfte. – Lassen Sie uns gemeinsam versuchen zu verstehen, was da abgeht.

Vandalismus hat viele Gesichter: brennende Papierkörbe, angekokelte Tische, eingeschlagene Scheiben, durchgeschnittene Feuerlöscherschläuche, zerstörte Toilettentürschlösser, geklaute Fahrradventile, Stinkbomben werfen, Toiletten mit Toilettenpapier verstopfen, Farb- oder  Filzstiftschmierereien, Scratchen von Fensterscheiben, Einbrüche und blinde Zerstörungswut. Auch wenn man kopfschüttelnd davor steht:

Jede Form von Vandalismus hat einen Sinn – für den Täter.

Für Außenstehende ist dieser Sinn meist nicht zu erkennen. Wer die versteckten Motive der Täter nicht versteht, kann keine gezielten Gegenmaßnahmen treffen. Dem Täter muss, damit er aufhört, die Motivation genommen werden. Leider ist die Bekämpfung von Vandalismus in der Schule kein Sprint, sondern ein Marathon. Eine Aktionswoche kann eine Menge auf den Weg bringen, aber auch danach darf man nicht locker lassen.

Stell dir einfach mal vor wie es wäre, in eine Schule zu kommen, die nun sauber und gepflegt ist. Ein tolles Gefühl! Das vermittelt nicht nur den Schülern ein Gefühl der Geborgenheit, sondern hebt auch bei den Lehrkräften die Stimmung. Dazu ist es allerdings notwendig, nicht nur über Vandalismus zu reden, sondern auch zu handeln. Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Der beste Zeitpunkt, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. – Der zweitbeste ist heute.“

Unter Vandalismus versteht man die vorsätzliche Beschädigung oder unerlaubte Veränderung fremder Sachen.

Sobald die erste ernsthafte Beschädigung längere Zeit sichtbar ist, zieht sie schnell weitere nach sich. Ein Dominoeffekt. Die Wissenschaftler nennen das den „Broken Window Effekt“. Dieser geht auf einen Aufsatz über ein Experiment aus dem Jahre 1969 zurück. Ein Auto ohne Nummernschilder wurde mit offener Motorhaube auf eine Straße in der Bronx gestellt. Nichts geschah. Dann schlug der Wissenschaftler selbst eine Scheibe des Autos ein. Innerhalb kürzester Zeit wurde der Wagen von den Vandalen heimgesucht. Und innerhalb von 24 Stunden wurde fast jedes brauchbare Teil entwendet, der nicht verwertbare Rest des Autos wurde zerstört.

Eine gepflegte Umgebung verringert Vandalismus.

Wir können daraus ableiten: „zero tolerance“, das heißt, jeden Vandalismus so schnell wie möglich beseitigen – am besten sofort. So kann nicht der (fatale) Eindruck entstehen, niemand würde sich um diesen Ort kümmern. Stattdessen wird der gepflegte Eindruck konsequent aufrechterhalten, der wiederum respektiert und durch ein angemessenes Verhalten unterstützt wird. Jede rumfliegende Getränkeflasche, Dose, Butterbrotpapier oder anderer Müll erzeugt den Eindruck, hier kümmert sich sowieso niemand. Da nützen keine Vorträge, dass die Schule allen gehört und damit auch jedem Einzelnen. Das ist nett gemeint, aber ziemlich naiv. Diese soziale Argumentation funktioniert nur bei denjenigen, die von zu Hause sowieso entsprechend sozialisiert sind. Und die werfen ihren Müll ohnehin in den Papierkorb. Das einzige, was hilft, ist ein hohes Maß an Identifikation zu erzeugen. Eine Standpauke kann das nicht leisten. Jede Schülerin, jeder Schüler muss begreifen, dass er nicht fremdes, sondern im Grunde sein eigenes Eigentum beschädigt bzw. zerstört. Damit sind wir zwangsläufig beim Thema Teilhabe und Praxisprojekte: Was man selbst gemacht hat, macht man nicht kaputt. – In Klassenräumen, die Schüler selbst renovieren durften, geht der Vandalismus gegen null.

Alles, was die Identifikation stärkt, wirkt gegen Vandalismus.
Und was man selbst gemacht hat, macht man nicht kaputt.

Bereits die räumliche Nähe einer Lehrkraft reduziert Unterrichtsstörungen und Vandalismus. Ja, schon allein die „Gefahr“, gesehen und erkannt zu werden, hat positive Wirkung. Sichtfenster in Türen tragen genauso dazu bei, wie Videokameras oder die tatsächlich physische Nähe von Lehrkräften. Die meisten Graffitis bestehen eigentlich nur aus einem Namenszeichen, einem „tag“. Wenn es einer Schule gelingt, die tags Personen zuzuordnen, kann man die Täter schnell identifizieren und sie bzw. ihre Eltern zur Rechenschaft ziehen. Ich weiß gar nicht, ob der Vorschlag wirklich so naiv ist, einen Kunstwettbewerb an der Schule zu veranstalten, in der jeder seinen tag zeichnet. Die Bilder werden in den Fluren aufgehängt und von einer Jury, an der natürlich Schüler beteiligt sind, durch ein Voting bewertet. Auf diese Weise lassen sich alle tags schnell identifizieren und man muss nur bei noch nicht bekannten tags auf die Suche nach dem Verursacher gehen.

Enttäuschung kann zu Resignation führen oder sich in Wut entladen.

Oft geht es einfach nur darum, zu zeigen, wer die Macht hat. Durch die Beschädigung bzw. Zerstörung von Schuleigentum wird häufig die Funktion vorübergehend beeinträchtigt oder ganz außer Kraft gesetzt. Die mildeste Form ist es vielleicht, eine Rolle Toilettenpapier in den Abfluss der Toilette zu stopfen. Versetzen wir uns einfach einmal in die Köpfe der Schülerinnen und Schüler, die so etwas machen. Da treibt sich eine spannende Frage herum, nämlich „was muss ich tun, damit etwas nicht mehr funktioniert?“ Das ist viel interessanter als der langweilige Physikunterricht. Aus Sicht der Schüler ist das angewandte Forschung – etwas, wo man fürs Leben lernt. Auch die gemeingefährliche Aktion, einen Stein auf Eisenbahnschienen zu legen, speist sich aus destruktiver Neugier. Was passiert eigentlich, wenn ein Zug darüber fährt? Wer ist stärker? Zug oder Stein? Über die oft dramatischen Folgen solcher Versuche machen sich die Täter in der Regel keine Gedanken, weil sie in ihrer Situation nicht so weit denken (können). Hier hilft, das zu thematisieren, Konsequenzen vor Augen zu führen – und die Täter dingfest zu machen. Unabhängig von der Einstufung der Delikte spielt das Alter der Schüler eine entscheidende Rolle. Zwar können wir schon vom ersten Schultag an mit rein schulischen Maßnahmen auf problematische Schüler einwirken. Aber wir sollten auch die gesetzlichen Altersstufen kennen, nach denen bestimmte schwere Konsequenzen möglich sind.

  • Vom 7. Geburtstag an sind Schüler zivilrechtlich für Schäden verantwortlich, die sie verschulden.
  • Eltern haften grundsätzlich nicht für ihre Kinder. Jeder haftet (ab dem 7. Lebensjahr) nur für sich selbst.
  • Nach dem 14. Geburtstag sind Schüler strafmündig.

Wenn also beispielsweise ein 7-jähriger den Füllfederhalter eines Mitschülers zertritt, muss er ihn ersetzen. Wenn das aus Unachtsamkeit geschehen ist, muss die private Haftpflichtversicherung des Kindes zahlen, falls es über die Eltern versichert ist. Ist es mit Absicht geschehen, natürlich nicht. Wenn das Kind bei den Eltern nicht mitversichert ist – vielleicht weil sie den Versicherungsbeitrag sparen wollen – muss der Schüler zahlen. Die Aussage auf dem gelben Schild „Eltern haften für ihre Kinder“, das wir alle von Baustellen kennen, ist juristisch falsch. Also, nehmen Sie den Schaden nicht einfach hin, wenn ein Jugendlicher beispielsweise seinen Namen in einen Tisch ritzt, sondern fordern Sie Ersatz. Die 200 € zu bezahlen, ist lediglich ein Ersatz des Schadens. Damit hat der Schüler nur ausgeglichen, was er vorher zerstört hat. Aber allein den Schaden zu ersetzen, ist noch keine Strafe. Und bitte sprechen Sie in diesem Zusammenhang niemals von „Strafe“ – auch wenn wir dies hier unter vier Augen miteinander tun. Es geht darum, welche pädagogische Maßnahme erzieherisch auf den Schüler einwirken und ihm sein Unrecht vor Augen führen kann.

Vandalismus, der sich über mehrere Jahre etabliert hat, lässt sich nicht mit einem Schlag endgültig beseitigen.

Dazu ein weiteres chinesisches Sprichwort: „Bohre den Brunnen, bevor du Durst bekommst.“ Wir erinnern uns: Vandalismus hat immer einen Sinn – für den Verursacher. Für die Prävention ist es also wichtig, die Motive kennenzulernen und wirkungsvoll vorgehen zu können.

Jugendliche werden zum Thema Vandalismus nur selten befragt. Vielleicht wäre es eine Anregung, genau dies einmal zu tun und über die Motive mit den Schülern gemeinsam zu diskutieren. Das ist der erste Schritt dazu, sie und ihre Probleme ernst zu nehmen. Bei solchen Befragungen haben sich folgende Gründe und Aspekte für den Vandalismus herausgestellt:

  • Unzufriedenheit, Unausgeglichenheit
  • Angst vor der Isolation (Ausgrenzung aus der Gruppe)
  • Langeweile
  • Profilierungswunsch
  • Wut über Unverständnis durch Eltern, Lehrer oder Mitschülern
  • Leistungsdruck
  • Rache (gegen Einzelpersonen und die Schule als Institution)
  • Lust und Spaß
  • Weitere Emotionen wie Liebeskummer oder schlechte Noten

Und genau hier liegt der Schlüssel zur Prävention: im besseren Verständnis der Motive und in der Beseitigung oder zumindest im Reduzieren der Ursachen. In unserem Blog-Beitrag „Vandalismus in der Schule eindämmen“ stellen wir einige konkrete Maßnahmen vor – zur Auswahl, was für die jeweilige Schule und Schülerschaft am besten geeignet ist.

Weitere Hintergründe und Anregungen sind in dem Buch „Vandalismus in der Schule“ zu finden, aus dem einige Anregungen und Zitate in diesem Beitrag stammen (Vandalismus in der Schule, von Günter Hoegg, erschienen im Beltz Verlag).

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